Hier finden Sie Reflexionen, Inspirationen und Anregungen rund um das Thema Achtsamkeit.
Buchtipp: Welt-Yoga
Rezension: „Welt-Yoga: Der Weg des wahren Selbst“ von Georg Weidinger. – OGTCM: Forchtenstein, 2020 – ISBN: 9783966986724. – 516 S. – 25,90 EUR
Was verbinden wohl die meisten Menschen in unserer Gesellschaft mit Yoga? Anstrengende Körperübungen mit seltsamen Verrenkungen? Vielleicht ist es nur ein Klischee, aber wer sich einmal durch die gängigen Seiten der Social Media klickt, kann durchaus den Eindruck gewinnen, das Yoga vor allem Akrobatik ist. Tatsächlich aber könnte man kaum mehr irren.
Yoga ist sehr, sehr viel mehr als die bekannten Körperübungen, auch „Asanas“ genannt, die, entsprechend auf die Spitze getrieben, einen manchmal ungläubig staunen lassen können. Hinter dem Begriff Yoga verbirgt sich ein uraltes, philosophisches System, welches Antworten auf Fragen, sie diese geben möchte:
- „Wer bin ich?“,
- „Woher komme ich?“,
- „Gibt es einen Plan hinter all dem, was man sieht und was passiert?“,
- „Wie lebt man richtig?“ oder
- „Wie wird man glücklich?“
Georg Weidinger bietet in diesem Buch auf über 500 Seiten vielfältige Möglichkeiten, sich mit dem Yoga in einer Tiefe und Breite zu befassen, die in den vielen Yoga-Kursen nicht einmal berührt wird. Leider, weil Yoga dann eben auf Turnübungen verkürzt wird und seine wahre Kraft nur bedingt entfalten kann. Wer sich tiefer auf Yoga einlässt, findet dort zunächst sich selbst und über die Auseinandersetzung mit dem Selbst geht es tief in die großen Themen von Weltanschauung und Spiritualität. Aber keine Sorge, trotz der Tiefe der Themen und trotz der vielen Seiten ist dieses Buch durchgehend gut verständlich und mit großem Genuss zu lesen. Ob Sie sich bisher noch nicht mit dem spirituellen Yoga-Weg befasst haben oder ob Sie bereits im Rahmen eine Yoga-Lehrerausbildung einiges dazu gelesen haben, dieses Buch holt Sie genau da ab, wo Sie gerade stehen.
Der Autor hat das Buch durchgehend mit am PC erstellten einfachen Skizzen illustriert (siehe das Cover). Diese sind anschaulich und einprägsam und erfüllen damit vollkommen ihren Zweck. Ganz persönlich hätte ich mir allerdings doch eine leichte Strichführung echter Zeichnungen gewünscht, was aber nur ein winziges Manko dieses wirklich großartigen Buches darstellt.
Fazit: Dieses Buch bietet eine zugleich vergnügliche wie horizonterweiternde Welt- und Zeitreise für alle, die noch ein paar offene Fragen an das Leben haben.
Die Sache mit der Resonanz
Es kann schon etwas erschütternd sein zu erleben, wie schnell es einem passieren kann, dass man selbst plötzlich auf einem Weg marschiert, der eigentlich gar nicht der eigene ist. Ein Weg, der sich furchtbar falsch anfühlt und der stetig in immer größeres Unbehagen führt. Ich bin dankbar für diese Erfahrung und noch dankbarer bin ich dafür, dass es mir möglich war, doch recht schnell innezuhalten und mich zu fragen: Was passiert hier eigentlich gerade? Wieso empfinde, denke und tue ich etwas, das ich eigentlich nicht empfinden, denken oder tun will? Warum werde ich zu jemanden, der ich nicht sein will? Und wie komme ich da wieder heraus?
Ich hatte gar nicht so recht mitbekommen, wann ich falsch abgebogen war. Durch zu viel Arbeit, durch Erschöpfung und Müdigkeit, durch eine große Verunsicherung, die sich zu Angst aufblähte, und durch zu viel Außenorientierung verlor ich nach und nach mal wieder meine Achtsamkeit und entfernte mich von mir selbst. Wie so viele andere bewegt auch mich zur Zeit unendlich vieles, und so gerate ich leicht durch Hilflosigkeit in einen Zustand von Ohnmacht und Taubheit. Dann fürchte ich mich davor, wieder in mich zu fühlen, weil ich nicht überwältigt werden will von meiner Angst – … doch genau damit mache ich sie immer größer und größer!
Angst liebt Verdrängung, denn dann kann sie unbemerkt wachsen und wachsen. Sie saugt dann, ohne dass man es überhaupt mitbekommt, alles an, was sie fett und fetter werden lässt. Auf diese Weise kann sie nach und nach immer mehr von dem verdrängen, was wir ihr eigentlich an Kraft und Hoffnung entgegenzusetzen haben. Und wenn wir auf diese Weise immer mehr den Kontakt zu unserer Energie, zu unseren Werten und zu dem, was uns wirklich ausmacht, verlieren, macht sich die Angst ganz hohl und wird zum Resonanzkörper von noch mehr, was sie nährt, so dass wir zu einem Echo werden genau dem werden, was wir doch eigentlich ablehnen. So scheint es zumindest bei mir zu sein und wenn ich mich umschaue, geht es wohl sehr vielen auch so…
„Und was mache ich jetzt?“, frage ich in die Stille des Innehaltens, die so unendlich gut tut, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten. Denn allein das Innehalten ist ja bereits eine Antwort. Es bewirkt, dass ich nicht weitermarschiere, sondern dass ich meinen Blick wieder in alle Richtungen lenken und wieder mehr fühlen kann, als das, was meine Angst mich fühlen lässt. Es wird wieder möglich, tiefer zu atmen und mich und andere mit Mitgefühl wahrzunehmen in dieser wackligen und oft so schrecklich verunsichernden Welt. Und ich kann wieder spüren, wer ich bin, und welches die ich Töne sind, die ich in die Welt schicken möchte.
Was ist wahr?
Eine Sache hat mich in den letzten Wochen und Monaten sowohl hilflos als auch sprachlos gemacht: Wie viele von uns bereit sind, Aussagen und Behauptungen als Wahrheit anzunehmen und weiterzugeben, ohne wirklich einmal zu überprüfen, woher sie kommen, warum sie gemacht werden und vor allem, was sie bewirken (bei sich und anderen). Dabei scheinen vor allem die lautesten Brüller am meisten Gehör zu finden. Für mich als eher leiser Mensch ist das höchst frustrierend, aber klar, sie drängen sich nach vorne, sie arbeiten oft gekonnt und effektiv und formulieren meist so einfach und eingängig, dass man das Gesagte sofort zu verstehen glaubt. Und genau da, so ist zumindest meine Erfahrung, kann man sich gewaltig irren …
Für mich besteht ein ganz wichtiges Element von Achtsamkeit darin, nicht alles, was ich höre oder sehe, automatisch auch als wahr anzunehmen – und
- das gilt meine eigenen Gedanken,
- es gilt für Behauptungen von Mitmenschen in Gesprächen und
- es gilt für Botschaften, die über Medien verteilt werden, von wem auch immer.
Bei meinen eigenen Gedanken versuche ich zu erspüren, aus welcher Quelle sie in mir kommen: Spricht da die Angst in mir? Nörgelt der ständige Zweifler? Zittert ein kindlicher Anteil? Und was sagt mein in sich ruhender Kern dazu, der gut geerdet ist und sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen lässt?
Bei Behauptungen von Menschen in Gesprächen versuche ich ebenfalls zu erspüren, wer in ihnen etwas zu mir sagt: Habe ich da gerade einen Menschen vor mir, der aus Wut spricht oder aus Angst? Was möchte diese Person wohl mit seiner Bemerkung oder Aussage bei mir erreichen? Inwieweit ist mir in diesem Moment echtes Mitgefühl möglich oder merke ich, dass ich mich abgrenzen muss, um vielleicht nicht selbst in die Stimmung oder Emotion zu gehen, aus der da jemand mit mir spricht, oder einer Aussage zuzustimmen, die ich für bedenklich halte?
Und wann immer ich eine über die Medien verbreitete Botschaft lese, frage ich mich vor allem, von wem sie kommt und was dieser Mensch oder diese Organisation für eine Motivation hat. Wir leben in einer Zeit, in der sehr viele Menschen etwas verkaufen wollen oder nach Aufmerksamkeit, vielleicht sogar Macht gieren. Provokation und Manipulation sind nicht immer klar erkennbar und tarnen sich manchmal als vorgetäuschtes Gemeinschaftsgefühl oder Fürsorge.
All das sind komplexe Prozesse, die uns im Alltag, vor allem wenn wir im Stress oder verunsichert sind, leicht überfordern können. Wir reagieren oft reflexartig auf bestimmte Trigger, denn unser Gehirn ist darauf angewiesen, Informationsverarbeitung zu vereinfachen, damit es funktionsfähig bleibt. Dabei trifft es aber nicht immer die besten Entscheidungen für uns, sondern lässt sich hin und wieder auch durch gezielte Strategien genau dahin bringen, wo uns jemand haben möchte.
Das für mich Wichtigste in Sachen Achtsamkeit ist, immer wieder innezuhalten und einen Schritt zur Seite zu machen, um aus meinen eigenen Automatismen herauszukommen. Und ich bin bis heute Byron Katie dankbar, die mir mit ihrer Methode The Work schon vor vielen, vielen Jahren ein so einfaches wie wirkungsvolles Instrument genau dafür geschenkt hat. Ihre schon berühmten vier Fragen haben mir schon sehr, sehr oft weitergeholfen, mit „Wahrheiten“ besser umzugehen:
- Ist das wahr?
- Kannst du mit absoluter Sicherheit wissen, dass das wahr ist?
- Wie reagierst du, was passiert, wenn du diesen Gedanken glaubst?
- Wer wärst du ohne den Gedanken?
Eine Frage der Perspektive
Dass ein Perspektivwechsel neue Einsichten ermöglicht, ist natürlich keine neue Erkenntnis, aber wie es mir scheint, eine, die oft in Vergessenheit gerät, oder die wir vermeiden, weil das gar nicht so einfach ist und manchmal auch ein bisschen gruselig.
Ich stelle immer wieder fest, wie gewinnbringend es doch ist, aus verschiedenen Richtungen auf eine Sache zu schauen. Und zwar nicht nur von rechts und links, von hinten und vorne und von oben und unten, sondern auch von außen nach innen und von mittendrin nach draußen. Und kreuz und quer hindurch und kreisförmig herum und spiralförmig hinein und zickzackig heraus.
Denn da wird es erst richtig spannend!
Perspektiven sind deutlicher vielfältiger als wir oft glauben und selbst, wenn wir unseren Blickpunkt wechseln, ist es meist, ohne dass wir es merken, noch immer einer, der uns vertraut ist. Wirklich neue Perspektiven zu finden, erfordert die Bereitschaft, sich auf Unbekanntes einzulassen – vielleicht auf etwas, das uns Angst macht und uns auf unsicheren Boden bringt, oder auf etwas, das uns fremd vorkommt, suspekt oder seltsam. Etwas, das wir gar nicht für möglich halten oder sogar unerhört. Vielleicht auch etwas, das wir uns selbst verboten haben.
Je mutiger wir werden, desto mehr suchen wir vielleicht auch nach Perspektiven, die uns ein Stück weit aus unserem eigenen System bringen. Wir machen also mal einen kleinen Schritt aus dem heraus, was uns sicher und richtig erscheint, … nur mal so, um zu gucken. Von da kann alles ganz, ganz anders aussehen, sogar wir selbst.
In diesem Sinne wünsche ich Euch ganz viel Vielfalt und Lebendigkeit und eine gute Portion Überraschungen.
Buchtipp: Monkey Mind
Rezension: „Monkey Mind: Was dein Verstand dir sagen will“ von Ralph de la Rosa. – Bielefeld: fischer & gann, 2020 – ISBN:978-3903072848. – 288 S. – 20,- EUR
Was mich viele, viele Jahre vom Meditieren abgehalten hat, war der grundlegende Tenor mit dem das Meditieren in unserer westlichen Welt so oft beschrieben und angeboten wird, alá „den Geist in den Griff bekommen“ oder „sich auf Ruhe und Gelassenheit programmieren“. In mir sträubte sich alles dagegen, mich mittels einer Methode noch mehr selbst zu manipulieren, also war das nichts für mich. Bis ich mich dann in Japan in einem kleinen Zen-Kloster das erste Mal gezielt und bewusst auf eine Meditation einlassen konnte. Der Mönch hatte zuvor so viele kluge Sachen gesagt und ein komplett anderes Bild von der Meditation beschrieben, als ich es bisher kannte, und mir damit einen Zugang eröffnet. Inzwischen gehört die Meditation zu meinen täglichen Ritualen und ich möchte sie nicht mehr missen. Das vorliegende Buch „Monkey Mind“ kann, ähnlich, wie es der Mönch für mich tat, ein Türöffner für alle sein, die eigentlich gerne meditieren würden, aber innere Widerstände empfinden. Denn auch Ralph de la Rosa zeichnet ein ganz anderes Bild von der Meditation.
Der Begriff „Monkey Mind“ stammt aus der buddhistischen Meditationspraxis und beschreibt sehr treffend die stetige Unruhe unseres Verstandes. Doch statt die Affenbande in unserem Kopf zähmen, fesseln und ruhigstellen zu wollen, lädt der Autor dazu ein, von ihr zu lernen. Es geht zunächst um Würdigung, denn die Aktivität unseres Verstand ist sehr wichtig für uns: Im Alltag brauchen wir diesen regen Geist, der Informationen in Bruchteilen von Sekunden aufnimmt und verarbeitet. Unser Verstand macht uns leistungsfähig und Leistungsfähigkeit hat einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft. Die Vorstellung, sich nun einmal täglich für 20 Minuten hinzusetzen und diesen so wichtigen Teil in uns gleichsam per Knopfdruck ausschalten zu wollen, weil Meditation ja gut für uns sein soll, ist einmal mehr ein Zeichen dafür, wie mechanistisch wir mit uns selbst umgehen. So als wären wir Maschinen, … Roboter. Und natürlich weiß unser Verstand das dann auch wirkungsvoll zu verhindern.
Ralph de la Rosa erzählt sehr offen und ehrlich von seinen eigenen Irrwegen und Erkenntnissen, die er daraus gewonnen hat. Das ist sympathisch und glaubwürdig. Trotz des für mich nicht immer ganz leicht zu lesenden Stils (vielleicht, weil es ein eher männlicher Stil ist, vielleicht ist es auch der Übersetzung ins Deutsche geschuldet), habe ich weiter- und weitergelesen und mich tatsächlich auch auf die Übungen einlassen können. Ich freue mich sehr darüber, dass immer mehr solcher „Gegenbücher“ zu den bei uns so verbreiteten zweckorientierten Meditationsanleitungen erscheinen, denn sie entsprechen so viel mehr dem, was Meditation wirklich ausmacht: nicht zu wollen, nichts zu manipulieren, kein Zweck, kein Ziel, sondern das anzunehmen und sein zu lassen, was ist. Das ermöglicht echte Achtsamkeit.
Ganz am Ende des Buches sind folgende Zeilen zu lesen: „Mögen wir nicht zurückweichen. Mögen wir nicht aufgeben. Mögen wir weitermachen, trotz des Komforts in unserem Kokon. Auf dass sich jeder von weiterentwickeln möge. Immer weiter, immer tiefer. Mögen wir die wertvolle und flüchtige Chance nicht verpassen die wahre Süße des Lebens und aller Dinger zu schmecken, statt nur die Speisekarte zu lesen. Mögen wir erkennen, dass der wahre Mut in deinem Leben mit offenem Herzen liegt.“ – und genau DAS ist Meditation für mich.
Fazit: Wer sich bisher mit dem Meditieren eher schwer tat, sollte einmal in dieses Buch schauen und vor allem auch die Übungen ausprobieren!
Hoffnung auf ein Anders
Wieder einmal bin ich zu langsam für die Welt … Während gerade alles um mich herum in einem Wahnsinnstempo losrast, damit es wieder „zurück zum Alltag“ geht, bin ich noch immer dabei, das zu verarbeiten, was in den letzten Wochen geschah. All dem nachzufühlen. Es zu begreifen.
Durch das Corona-Virus ist so vieles passiert, was ich nicht für möglich gehalten habe. Ich habe mir nicht vorstellen können, dass das Leben, wie wir es kennen, zu einem großen Teil einfach heruntergefahren werden kann. Nie habe ich erwartet, dass wir tatsächlich ganz anders sein und handeln können, als wie wir es für normal halten. Kaum habe ich zu hoffen gewagt, dass tatsächlich Gemeinschaftssinn über Egoismus siegen kann, dass Verantwortungsgefühl mehr wiegt als Eigeninteresse und dass das Wir-Gefühl stärker wirken kann als das ewige Ich-Ich-Ich.
Und doch – so war es.
So waren wir.
Wir haben füreinander gesorgt.
Das lässt mich hoffen, dass wir doch alle in unserem Inneren genau wissen, dass unsere eigenen Bedürfnisse nicht wichtiger sein können als das, was im Sinne aller ist, und dass wirtschaftliche Interessen nicht länger alles bestimmen dürfen, weil es viel Wichtigeres gibt und weil wir uns damit die Lebensgrundlage zerstören. Es lässt mich hoffen, dass wir vielleicht auch dauerhaft danach handeln können, dass wir also wirklich etwas aus der Chance machen, die sich mit diesem Bruch mit dem Gewohnten eröffnet hat, weil es richtig und wichtig ist und letztlich alles davon abhängt: nämlich unsere Zukunft auf diesem Planeten. Es lässt mich hoffen, dass wir vielleicht doch bereit sind, für ein „anders“, für ein „besser“, für ein „im Einklang mit der Natur“, also für etwas Neues, das so dringend nötig ist.
Ja, das lässt mich hoffen – und das tut mir gut.
Doch während ich hier so sitze und den rasanten Fahrtwind all der Aktivitäten wahrnehme, die nun wieder aufgenommen werden, zittert meine frische Hoffnung ängstlich. Ich streiche ihr zart über das zerzauste Haar und denke, wie gut es der Welt doch tun würde, ein bisschen etwas von der Entschleunigung der letzten Wochen beizubehalten, um weniger kopflos nach vorne zu stürmen und eben genau nicht einfach alles wieder so zu machen wie vorher. Um vielleicht das Innehalten zur Gewohnheit werden zu lassen, das Zu-sich-kommen und das Bei-sich-bleiben. Und das Fühlen. Damit sich eben wirklich etwas ändern kann…
Ein Jahr auf dem Yoga-Weg
Es ist nun über ein Jahr her, dass ich von meiner Weltreise zurück kam und aus Bali für mich Yoga mitbrachte. Seitdem beginne ich jeden Tag mit dem Üben von Asanas und einer Meditation.
Ich weiß noch genau, wie ich nach der Rückkehr oft so verloren auf meiner Matte saß, als wäre sie ein kleines Floß auf einem riesigen Ozean. Und ich weiß auch noch, wie oft ich in all den vergangenen Monaten verzweifelt nach der Kraft suchte für die Asanas, um sie halten zu können, um gut zu sein und besser zu werden – … etwas, um das es aber gar nicht geht und um das es vielleicht sogar nie ging, obwohl ich so fest daran glaubte.
Heute bin ich keine andere als vor einem Jahr und doch ist vieles anders geworden. Damit meine ich weniger die Veränderungen in der Welt, denn für mich fühlen sich nach jahrelangen Umwälzungen in meinem Leben selbst große Veränderungen inzwischen schon fast normal an, eben als ein Teil des Lebens ganz allgemein. Anders ist aber, wie ich heute auf Veränderungen reagiere und anders ist immer öfter, wie ich mit mir selbst umgehe.
Die tägliche Zeit auf meiner Matte ermöglicht mir, immer wieder zu mir zu kommen und mir auch dann zu begegnen, wenn ich mal wieder anderswo bin. Nicht, wie sonst erst nach Wochen oder gar Monaten, sondern jeden Tag neu. Das ist anders und das ist gut so.
Eine tiefe Dankbarkeit erfüllt mich, dass ich diesen Weg für mich finden durfte, und vor allem, dass ich es mir ermögliche, ihn tatsächlich zu gehen. Denn die tägliche Praxis, die Entscheidung zu einer Ausbildung und die intensive Auseinandersetzung mit körperlichen und spirituellen Themen gleichermaßen, traf und trifft immer wieder auf Widerstände in mir. Die rationalen, skeptischen und berechnenden Teile halten das alles für Humbug und einen Irrweg. Doch diese Teile sitzen schon lange nicht mehr an der Macht. Großes hat sich verändert in mir – die Ausrichtung auf das Außen tritt zurück zugunsten des Wunsches, mich sein zu lassen, was und wie ich wirklich bin. Immer weniger scheint es mir erstrebenswert zu sein, Erwartungen zu erfüllen, immer weniger ist mein Ziel, jemanden gefallen zu wollen, statt dessen leitet mich die Sehnsucht danach, mich in meinem Sein zu spüren.
Ich wollte so viel, als ich von meiner Weltreise zurück kam – allem voran war da der feste Entschluss, endlich zu der Schriftstellerin zu werden, die ich immer sein wollte: erfolgreich und vielleicht sogar berühmt. Ich stürzte mich in die Arbeit mit einem Mut, den uns nur die Angst schenkt – … die Angst vor dem Scheitern und vor dem Verlieren. Und wieder einmal zeigte mir das Leben, dass ich zwar viel wollen und auch viel tun kann, aber dennoch nicht alles erreiche, was ich anvisiere und dass das möglicherweise auch gut so ist. Sanft und dabei sehr nachdrücklich verschob das Leben wieder einmal Fundamente und zeigt mir, dass anderes ansteht.
Ich bin ein gutes Stück bescheidener, ja, vielleicht sogar demütiger geworden in meinen Ansprüchen – nach außen, aber auch mir selbst gegenüber. Denn ich merke, dass es nicht länger darum gehen darf, das Leben durch Leistung meistern zu wollen, als könnte ich mir durch gute Noten etwas kaufen. Alles, was ich mir im Moment oft wünsche, ist einfach ruhig dasitzen und dem Wachsen in mir nachspüren zu können. Intensiv all das zu fühlen, was da gerade entsteht – oder besser gesagt: was sich entfaltet. Denn es ist nichts Neues, es ist uralt.
Und so feiere ich gemeinsam mit mir mein erstes Jahr auf dem Yogaweg, der mich mehr als alles zuvor etwas von dem erleben lässt, was ich mir sehnlichst wünschte: Ein Stück anzukommen – nicht irgendwo draußen, sondern in mir.
Unsere Chance
Ich schöpfe meine Kraft und Energie immer wieder daraus, dass ich fest daran glaube, dass alles zu etwas gut ist – so auch die durch den Corona-Virus ausgelöste Welt-Krise, in der wir uns gerade befinden. Aus ihr kann so viel Gutes entstehen, wenn wir uns wieder auf das besinnen, was Menschsein ausmacht bzw. ausmachen sollte, wie zum Beispiel Solidarität, Verantwortungsbewusstsein und Mitgefühl. Darüber hinaus geschehen nun ganz viele Dinge, die unerlässlich sind, wenn wir nicht nur diesen Virus überstehen, sondern auch in Zukunft weiter auf unserem Planeten existieren wollen: ein fundamentales Umdenken, große gesellschaftliche Veränderungen, Verzicht, Nachhaltigkeit und dergleichen mehr. Vielleicht braucht es tatsächlich ein so umfassendes Herunterfahren der Welt, wie wir sie bisher kannten, damit wir Menschen zur Besinnung kommen.
Es gibt einen Spruch, der in diesen Tagen oft zu lesen ist: „Wenn du nicht nach draußen kannst, geh‘ in dich.“ Dieses „In-uns-gehen“ ist, denke ich, im Laufe der Zeit immer weniger geworden. Wir haben uns über viele Jahrzehnte zu einer permanent außenorientierten Gesellschaft entwickelt und uns von uns selbst entfernt. Dabei haben wir viele Werte vergessen. Darunter leidet das Miteinander, darunter leiden wir und darunter leidet unser Planet.
Nutzen wir doch diese Zeit dazu, genau das wieder zu lernen: in uns zu gehen, auch mal still zu werden und nachspüren, was wirklich zählt.
- Jetzt ist Zeit, innezuhalten und zur Ruhe zu kommen.
- Jetzt ist Zeit, sich selbst zu begegnen.
- Jetzt ist Zeit, Kraftquellen zu entdecken, die nicht im Außen liegen, sondern in uns selbst.
- Jetzt ist Zeit nachzuspüren, was das eigentlich für ein Leben ist, das wir führen und wie viel Sinn es noch für uns macht.
- Jetzt ist Zeit zu prüfen, ob es gut ist, wie und womit man seine Zeit verbracht hat und wenn nicht, zu überlegen, was uns mehr Sinnhaftigkeit schenken kann.
- Jetzt ist Zeit, sich zu fragen, was wir wirklich brauchen von all dem, was so unentbehrlich oder begehrenswert erscheint oder ob es vielleicht Anderes, Wichtigeres und Schöneres, Nährenderes und Erfüllenderes gibt, was man immer mehr übersehen und vernachlässigt hat.
- Jetzt ist Zeit, sich einmal auszumalen, wie es weitergehen könnte, nach all dem, wenn wir nicht einfach so weitermachen, wie bisher.
Jetzt ist Zeit für Bilder von einem anderen Leben und einer besseren Welt (wer dazu noch ein paar Inspirationen braucht, kann hier die Gedanken von Zukunftsforscher Matthias Horx dazu lesen).
Es liegt an uns!
Es ist genug
Vor einigen Tagen überreichte mir das Leben diesen Satz als Geschenk:
Es ist genug.
Ein fantastischer Satz, der unendlich gut tut. Eine Botschaft für mich selbst, weich und liebevoll, und eine Botschaft nach außen an andere, hier klar und einen Punkt setzend, vielleicht auch eine Grenze, wenn es nötig ist.
Es ist aber auch ein Satz, den ich erst noch leben lernen muss, denn er steht in krassem Gegensatz zu der Welt, in der wir uns bewegen. Einer Welt, die auf einem „Es ist nie genug“ basiert: Wir haben nie genug gekauft, nie genug erreicht, nie genug geschafft. Wir müssen uns ständig optimieren, mehr anschaffen und immer weiter und weiter kommen. Was das Ziel dieser wahnwitzigen Antriebsmaschine ist, weiß eigentlich keiner, außer natürlich denen, die damit reich werden. Aber die meisten von uns laufen ein bisschen wie Schafe in der Herde mit, auch wenn zunehmend immer mehr von uns durch den Rost fallen…
Je öfter ich nun auf meinem Meditationskissen sitze und kleine Pausen vom Leben mache, das dort draußen tobt, desto mehr spüre ich mich. Und je intensiver ich mit mir in Kontakt komme, desto mehr merke ich, dass ich eher zu viel habe als zu wenig. Es ist tatsächlich genug, mehr als genug sogar.
Es ist genug, was ich habe. Es ist genug, was ich tue. Es ist genug, was ich schaffe.
Es ist genug, was ich bin.
Zu sich kommen
Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber mir passiert es immer wieder, dass ich mich in gewisser Hinsicht selbst verliere. So gehe ich zum Beispiel oft dann verloren, wenn ich versuche, all die vielen, vielen Anforderungen zu erfüllen, die ich mir oft selbst stelle. Oder wenn ich versuche, es allen recht zu machen. Oder wenn ich in Stress gerate.
Wenn zu viel Außen mein Leben beherrscht, dann flüchte ich irgendwo hin, wo ich mich selbst erst wieder suchen muss.
Wir sagen oft so etwas wie „Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht“ und das drückt schon ziemlich genau aus, wie es ist, sich selbst zu verlieren. Nur dass man nicht nur den Kopf verliert, sondern auch den Bauch und im schlimmsten Fall sogar das Herz. Dann können wir nicht mehr fühlen, nicht uns, nicht andere. Dann werden wir zu Hüllen und Fassaden.
Für mich wird es immer wichtiger, immer wieder ganz bewusst inne zu halten und zu mir zu kommen, besonders dann, wenn ich unter Druck stehe und viel zu viel auf einmal will.
Denn ohne mich will ich nicht mehr sein. Ich brauche mich. Ich will mich spüren.