Nachdem ich das Nehmen und das Geben für mich beleuchtet habe, stieß ich nach einigen Tagen auf eine weitere Facette des Komplexes „Gut für sich sorgen“, die wohl unmittelbar mit den beiden anderen zusammenhängt:
Was tue ich, wenn mir Leute etwas geben wollen, das ich nicht will oder wenn ich spüre, dass andere etwas erwarten oder fordern, das ich aber nicht geben will? Dann muss ich das kleine Zauberwort „Nein“ lernen, dann muss ich Grenzen setzen und dann muss ich bereit sein, für mich einzustehen.
Nein, das ist nichts Neues und klar, das wissen wir alle. Aber zumindest bei mir gibt es einen Unterschied zwischen Theorie und Praxis, zwischen Wissen und Tun.
Interessanterweise dürften mich viele in der Vergangenheit für einen recht kämpferischen Menschen gehalten haben, jemand, der sich die Butter nicht vom Brot nehmen lässt, eine Person, die weiß was sie will und sich durchsetzen kann. Ja, so wirkte ich.
Tatsächlich aber stand ich leider gerade nicht für MICH ein. Vielmehr verkaufte ich mich im Rahmen von Deals, die ich unbewusst formulierte, und forderte dann die erwarteten Gegenleistungen ein und pochte auf mein gutes Recht. Darin war ich stark und, klar, so wirkte ich wie jemand, der durchaus für sich sorgte. Tatsächlich aber versuchte ich, mein Sein einzutauschen gegen Dinge, die ich unbedingt wollte: Sicherheit, Vertrautes, Bestand, Kontrolle. Ich verkaufte dabei nicht nur mich, sondern auch anderes, was mir wichtig war und ja, ich bekam viel dafür – nur nicht das, was ich wirklich brauchte …
Heute versuche ich sehr achtsam für das zu sein, was ich mir wünsche und was ich will, um zu ergründen, WARUM ich mir das wünsche und warum ich etwas will. Was steckt dahinter? Was erhoffe ich mir? Was versuche ich zu erreichen? Um was geht es wirklich?
Diese Fragen führen mich dorthin, wo es mir noch immer schwerfällt, hinzugehen: zu meiner Bedürftigkeit.
Je besser ich aber meine zugrundeliegenden Bedürfnisse erkenne, akzeptiere und verstehe, desto eher durchschaue ich faule Deals, die ich machen will und desto bewusster wird mir, wenn ich mal wieder nicht für mich einstehe, um z.B. um eine Beziehungen nicht zu gefährden oder um jemanden nicht zu enttäuschen o.ä. Wenn ich mich mal wieder verstecke, zurückziehe und potentiellen Konflikten ausweiche. Wenn ich Rechnungen aufstelle und daraus Forderungen ableite.
Erst in der Nähe mit mir und mit der Bereitschaft zu spüren, worum es mir eigentlich geht, schaffe ich es inzwischen immer öfter in kleinen Schritten, WIRKLICH für mich einzustehen, für das, worum es tatsächlich geht.
Das Bild für diesen Beitrag zeigt absichtlich einen Ritter, denn früher dachte ich, es würde darum gehen, für mich kämpfen zu müssen. Aber ich mache nun eine ganz neue Erfahrung: dass es nämlich bei all dem viel weniger um einen Kampf geht, als darum, mich zu öffnen und zu zeigen – erst mir selbst und dann auch anderen. Und dafür muss ich immer wieder meine Rüstung ablegen.
Kannst Du mir Deine Worte bitte anschaulicher machen, mir Beispiele geben?
Danke.
Hm, das ist nicht so einfach, weil es doch sehr persönlich ist. Ich versuche es mal:
Ich kann z.B. sehr viel daran setzen, im Job selbstsicher und erfolgreich aufzutreten, also dort durch ein forsches Auftreten beeindrucken, durch Biss, Ehrgeiz und Leistung. Dann halten mich alle für selbstbewusst und für jemanden, der genau weiß, was er will. Tatsächlich kann dann aber das, was ich dadurch bekomme (also z.B. Anerkennung, mehr Geld, eine Führungsposition) unter Umständen gar nicht das sein, was ich brauche, wenn ich z.B. eine eher kreative Seele bin, die Muße, Ruhe und Rückzug braucht, um aufblühen zu können.
Wird so vielleicht etwas klarer, was ich meine?
Herzlich,
Tania
Hallo Frau Konnerth,
ich beschäftige mich aktuell viel mit dieser Thematik und fand es toll, dass wie ein ähnliches Bild vom Ritter in der Rüstung nutzen wenn es um das Für-Sich-einstehen geht.
Allerdings richte ich momentan meinen Blick auf das Geschehen danach, nachdem der Ritter sich geöffnet hat. Gerne würde ich hierzu ihre Erfahrung / Meinung lesen:
Ich nutze für das für-mich-einstehen gerne das Bild eines sich senkenden Schutzschildes (die Rüstung ganz abzulegen erscheint mir etwas zu radikal :o). Hierdurch gebe ich meinem Gegenüber einen Einblick in meine Bedürfnisse und mache mich auch verletzbar. In diesem Moment hat mein Gegenüber die Wahl, wie es mit mit meiner Bitte umgeht. Es kann meinen Wunsch erfüllen, hinterfragen oder gemeinsam mit mir Kompromiss schließen. Oder aber es hat die Möglichkeit, mich in diesem Moment anzugreifen. Wie gehen Sie mit solchen Situationen um? Wenn man die Urspungsreaktion eines Menschen betrachtet gäbe es nur fight or flight, fliehen oder kämpfen. Ich beobachte bei mir meist, dass ich sehr zu einer dieser Möglichkeiten tendiere und suche momentan nach Alternativen. Wie gehen Sie damit um, wenn Ihr Gegenüber Sie offensichtlich angreift bzw einen Wunsch ablehnt, um Sie zu provozieren bzw. einen Machtkampf zu starten? Wie gehen Sie damit um, wenn Ihr Gegenüber, für Sie nicht nachvollziehbar, eine Bitte ablehnt. Wie gehen Sie mit der Verletzlichkeit um, die ein Sich-öffnen bzw. Rüstung ablegen zwangsläufig mit sich bringt? Ich bin gespannt auf ihre Antworten, mich interessiert brennend Ihre Erfahrung.
Hallo,
und herzlichen Dank für den Kommentar.
Ich fürchte, eine klare Antwort habe ich auf die Frage nicht. Es kommt ja sehr auf das Verhältnis an, das man zu einer Person hat, sprich, wie wichtig sie einem ist oder in welche Form man mit einander zu tun hat (besteht eine wie auch immer geartete Abhängigkeit, muss man sich sicher anders verhalten als wenn diese nicht besteht).
Wenn es mir möglich ist, versuche ich, auf die Meta-Ebene zu kommen, also z.B. zu benennen, dass ich das Gefühl habe, dass es hier nicht um die Sache, sondern um einen Machtkampf geht, was es mit mir macht, wenn meine Bitte abgelehnt wird und ja, oft versuche ich auch, mich mit meiner Verletzlichkeit zu zeigen.
Aber auch für mich gibt es Situationen, in denen ich nur noch reagiere – kämpfe oder flüchte. Das ist nicht immer konstruktiv, aber menschlich und manchmal geraten wir einfach in Not. Was ich in einem solchen Fall dann wenigstens versuche ist, im Nachhinein zu verstehen, was da eigentlich passiert ist, was in mir vorging und warum ich so aus der Fassung geraten bin. Wenn ich das Thema, das dahinter steckt, für mich zu fassen bekomme, komme ich schon meist einen Schritt weiter.
Herzlich,
Tania