Wenn es darum geht, gut für sich selbst zu sorgen, kommt man relativ schnell auf die Erkenntnis, dass man darauf achten muss, nicht alles anzunehmen, was andere einem geben oder gut für einen halten (s. dazu auch Gut für mich?). Aber genauso wichtig ist es, auch einmal das Geben zu beleuchten.
Ich hatte über viele, viele Jahre, nie das Gefühl, anderen wirklich etwas geben zu können. Ja, äußerlich habe viel gegeben, viel angeboten, viel produziert, viel geschenkt, aber tief in mir war ich immer unsicher darüber, ob ich wirklich etwas geben kann. Seit ich achtsamer mit mir selbst bin, erkenne ich, dass das wieder einmal etwas mit der Frage zu tun hat, ob ich bei mir bin oder nicht, denn: Ich kann nur das geben, was in mir ist und um herauszufinden, was in mir ist, muss ich bei mir sein.
Ich glaube, viele geben das, von dem sie denken, das andere es von ihnen wollen, also was andere sich wünschen, was andere erwarten und auch was andere fordern. Es ist nachvollziehbar, dass wir Erwartungen erfüllen wollen, um z.B. gemocht und geliebt zu werden. Aber es ist auch wichtig, einmal hinzuschauen, dass wir damit eigentlich vor allem eines machen wollen: ein Geschäft.
Wenn ich ehrlich zurückblicke, bin ich sehr oft faule Deals eingegangen. Da ich gut darin bin, Erwartungen und Bedürfnisse anderer zu erspüren, habe ich immer hart daran gearbeitet, diese zu befriedigen. Das habe ich aber eben oft nicht getan, weil ich es gerne tun wollte (weil es das war, was ich geben wollte), sondern ich wollte mir damit Zuneigung sichern, eine Beziehung halten, anerkannt werden usw.
Das zu erkennen, war hässlich. Aber nur dieser ehrliche Blick ermöglicht mir heute immer öfter, anderen wirklich etwas von mir zu geben und zu erleben, was es für ein wundervolles Gefühl ist, das zu können: echt und aus mir heraus zu geben.
Dafür muss ich mir immer wieder zwei Dinge bewusst machen:
- Ich habe viel zu geben, aber vieles kann und will ich eben auch nicht geben. Wenn ich mich dazu zwinge, etwas zu geben, das ich nicht geben will, betrüge ich mich und auch den anderen, denn meine Gabe ist unecht. Je weniger ich mich zwinge zu geben, was eigentlich nicht in mir ist, kann ich mit freiem Herzen aus mir heraus das geben, was da ist.
- Gleichzeitig kann ich nur geben, was ein anderer annehmen will. Manch einer will das gar nicht, was ich zu geben habe. Das gilt es zu akzeptieren. Früher habe ich gedacht, ich müsste es nur besonders gut anbieten oder müsste das, was ich geben will, eben entsprechend ändern, aber beides führte mich von mir und auch von der Person weg.
Mir wird immer klarer, dass ich mich in meinem Geben fast genauso verdreht hatte wie im Nehmen. Es ist zutiefst beglückend, die Erfahrung zu machen, wirklich etwas geben zu können und wieder einmal hat es mit Ehrlichkeit zu tun und damit, man selbst zu sein.
liebe tanja,
Dieser beitrag hat mich erkenntnismaessig getroffen, aber wie. Nicht angenehm, aber wichtig und nuetzlich. Danke, kurt
Liebe Tanja,
deine Erkenntnis über dasGeben und Nehmen hat ganz viel mit EHRLICHKEIT zu tun, richtig.
Ich finde, dass es trotzdem manchmal angebracht ist, einem Menschen eine Freude bereiten zu wollen, auch wenn sie an den Haaren herbeigezogen ist, als ihn gar nicht zu beschenken.
Unsere Aufmerksamkeit zu haben, ist schon ein großes Geschenk!
Hallo liebe Tania,
oh, wie gut ich das kenne, was Du beschreibst! Die Bedürfnisse und Wünsche der anderen erfühlen, erspüren – da bin ich unheimlich gut darin! – und sie dann um jeden Preis erfüllen zu wollen. Oft um den Preis der Selbstaufgabe.
Und: um dafür etwas zu bekommen, klar! Zuwendung, Anerkennung, LIEBE.
Ich habe natürlich lange nicht gewusst, wie das bei mir „funktioniert“, ich hielt es für normal, weil ich diese Mechanismen – ganz im Sinne des „Drama des begabten Kindes“ (Alice Miller) – sehr sehr früh in meiner Kindheit gelernt habe und nichts anderes kannte.
Ich gab viel und sicher auch viel Hilfreiches. Zuhören, Mich-in-andere-Einfühlen, Ganz-beim-anderen-Sein, waren und sind meine Spezialität. Ich konnte und kann dadurch sehr schnell das Gefühl einer tiefen Nähe herstellen. Was ja an sich nichts Schlechtes ist.
Aber es kam nicht wirklich aus MIR selbst.
Denn ich gab mich selbst fast immer dabei auf. Ich bin sozusagen zu meinem Gegenüber hinübergesprungen – mit beiden Beinen. Ich habe nicht ein Bein bei mir behalten, um fühlen zu können: wie geht es MIR eigentlich dabei? WILL ich das überhaupt?
Das war ausgeschaltet, vollkommen ausgeblendet. Ich spürte es nicht. Nur hinterher, da fühlte ich mich oft ausgesaugt, ausgelaugt, leergepresst.
Und wenn dann der Dank nicht kam, nicht die Anerkennung, das Lob, die Zuwendung, die Liebe – dann fühlte ich mich ausgenützt und war bitter enttäuscht.
Es hat viele Jahre gedauert, bis mir diese Zusammenhänge auch nur mal ansatzweise klar geworden sind.
Ich wollte es zunächst selbst nicht wahrhaben – es ist eine bittere Erkenntnis, die „Selbstlosigkeit“ des Helfens zu entlarven – als Geschäft!
Freilich nicht absichtlich. Freilich geschah das aus innerer Not, aus der Not des Kindes heraus, das sich so wie es ist, von den Eltern nicht geliebt fühlte. Das Kind, das die Überlebensstrategie entwickeln musste, die Bedürfnisse der Eltern so früh wie möglich zu erfühlen und sie zu erfüllen, allerdings um den Preis der Selbstaufgabe – um eine Überlebenschance in dieser kalten, disfunktionalen Familie zu haben.
Es ist hart, mir das alles anzuschauen.
Vielleicht kann ich irgendwann Mitgefühl mit diesem kleinen Kind entwickeln, das nicht anders überleben konnte. Und das diese Strategien ins Erwachsenenleben mitgenommen hat, weil es nichts anderes kannte.
Heute beginnt sich so ganz langsam herauszukristallisieren, dass es ja wirklich wunderbare Talente sind, die ich mitbekommen habe: hochsensibel erspüren können, wie es anderen geht, was sie wünschen und brauchen. Tiefes Verständnis und Empathie entwickeln können.
Und es ist jetzt ganz neu meine Aufgabe zu lernen, dass ich selbst die Verantwortung habe, wie ich mit diesen Talenten umgehe, wie ich sie lebe:
Dass ich sie auch für mich SELBST einsetzen kann: wie geht es eigentlich MIR?
Dass ich Grenzen setzen darf.
Dass die Selbstaufgabe keine zwingende Voraussetzung für Nähe ist, wie ich es immer für absolut selbstverständlich gehalten habe.
Aber im Grunde ist es genau anders herum:
Echte Nähe kann nur entstehen, wenn ich ICH selbst bin. Ansonsten bin ich ja nur ein Abziehbild des anderen.
Das ist keine echte Nähe. Das ist ein Scheinzustand von Nähe.
Lange Zeit hielt ich diesen Scheinzustand für echte Nähe. Was ist eigentlich echte Nähe?
Mich selbst zu geben, genau das, was gerade in mir ist? Nichts anderes? Auch wenn ich dadurch die Wünsche meines Gegenüber unerfüllt lassen muss, mich sogar klar abgrenzen, vielleicht die Beziehung verändern oder gar beenden muss?
Und DAS soll Nähe sein?
Danke und Grüße an alle hier auf dem Weg,
Ulla
Liebe Tanja, du
sprichst mir mit diesem Text aus der Seele. Deinen Blog zu lesen gibt mir immer sehr viel. Danke dafür.
Liebe Grüße
Cornelia
Ich danke Euch herzlich für Eure Ehrlichkeit und Offenheit.
Ja, es geht nicht einmalige Geschenke, da kann es eine wunderschöne Geste sein, auch mal über sich hinauszugehen. Aber nie wieder möchte ich mich aufgeben, um geben zu können; der Preis zu hoch und zwar für mich, aber auch für den anderen.
Liebe Grüße an Euch,
Tania
Ja, das ist auch mir aus der Seele gesprochen und zum großen Teil auch, was Ulla schreibt.
Ist mir wohl als Kind so beigebracht worden, ich mach das weitgehend auch in meiner Beziehung anstatt dass ich mehr für mich selbst sorge.
Mein Partner hat dieses Problem nicht, er weiß, wie er für sich selbst sorgt.
Nur – wie krieg ich das nur hin? Ich will versuchen, „mit kleinen Schritten“ anzufangen.
Ich denke, Hanni, das kann niemand für einen anderen tun, so traurig das ist…
Du kannst, denke ich, nur für Dich selbst sorgen und daraus geben.
Herzlich,
Tania