Oft ist mir die Welt zu schnell

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Oft ist mir die Welt zu schnell

Ich fürchte, ich habe eine Schneckenseele. Es ist eine Seele, die langsam ist, sehr bedächtig und sie braucht für alles viel Zeit. Es ist eine Seele, die gerne verweilt und nachspürt und die am liebsten einfach nur ist.

Paradoxerweise bin ich eigentlich ein schneller und agiler Mensch. Wer mich in meinem Alltag erlebt, dürfte mich eher für eine Ameise halten, denn ich mache eigentlich ständig etwas und bin in der Lage, ziemlich viele Aufgaben innerhalb kürzester Zeit erledigen, um dann sofort loszurennen und mir was Neues zu suchen.

Meine Schneckenseele lebt also nicht nur in einem schnellen Körper mit fixem Geist, sondern auch in einer geradezu rasanten Welt, was ihr nicht immer gut tut. Veränderungen über Veränderungen, überall Wandel, alles ständig neu. Ob das Duschzeug oder die Computerprogramme, ob Webseiten oder mein morgendliches Müsli, ob die Pläne von Freunden oder die Entscheidungen meiner Lieben…, alles wird ständig geändert, neu gemacht, umgestaltet oder über den Haufen geworfen. Und so wirkt meine Schneckenseele oft wie Fossil, denn während andere schon längst in eine nächste Dimension geflitzt sind, schaut meine Seele noch verwundert hinterher und fragt sich, wohin denn eigentlich jeder rennt. 

Ich weiß, dass mich ein hohes Tempo erfolgreich macht und so versuche ich ständig, meine Schneckenseele auf dieses Tempo zu trimmen. Aber jeder, der Schnecken auch nur ein bisschen kennt, ahnt, dass das ziemlich unmöglich ist. Also bleibt meine Schneckenseele zwangsläufig immer wieder auf der Strecke und ich zahle für mein hohes Lebenstempo einen entsprechend hohen Preis: in regelmäßigen Abständen wird mein Tun und Sein immer leerer und hohler. 

Ich verstehe langsam immer besser, wie wichtig es ist, das Wesen meiner Schneckenseele anzuerkennen und zu würdigen, denn sie macht mich aus. Ich kann mich zwar zu Schnelligkeit zwingen, aber wirklich SEIN kann ich nur in dem mir natürlichen Tempo. So will ich mehr darauf achten, wenigstens hin und wieder innezuhalten, damit ich nachkommen kann und wieder vollständig zu werden – denn nur so kann ich auch in meinem Tun wirklich ICH sein. 

 

Jede Seele hat ihr eigenes Tempo

23 Kommentare

  1. Liebe Tania, vielen Dank für deine Beiträge. Viele davon sprechen mir aus der Seele. Dieser besonders. Ja, hab ich gedacht, oft ist mir die Welt zu schnell. Erst vor kurzem habe ich für mich so ähnlich formuliert: Ich hab so eine Sehnsucht danach, endlich einmal in meinem Tempo zu leben und vor allem zu arbeiten. Es ist gar nicht so leicht, dafür Raum zu finden in einer Welt, in der Tempo und Effizienz zwei der wichtigsten Werte zu sein scheinen. Dabei kommen Tiefe und Weitblick oft zu kurz. Im Privaten wie in unserem Umgang mit Natur oder in politischen Fragen. Werte wie: sich Zeit zu nehmen, ersteinmal genau hinzusehen und hinzuhören, Hintergründe und Zusammenhänge verstehen zu wollen und erst dann zu handeln. Nicht im Dringlichkeitsmodus sondern vorausschauend… Liebe Tania, ich würde mich freuen, mehr davon zu lesen, wie es dir gelingt bei dir und in deinem Tempo zu bleiben. Mit vielen Grüßen von Teresa

    • Tja, liebe Teresa, ich fürchte, es wird mir – wie alles – mal besser und mal schlechter gelingen. Ich habe mich von der Vorstellung verabschiedet, dass Erkenntnis allein etwas komplett ändert, sondern es ist oft ein Ringen und Schwanken, ein Leben in Wellen. Im Moment freue ich mich an dem neu gefundenen Bild von meiner Schneckenseele und lass sie gerade ein bisschen über meine Hand kriechen. Das mag sie 🙂

      Ganz herzlich,
      Tania

  2. Uhhhh, wie herrlich! Eine Schneckenseele in einem einem schnellen Körper mit schnellem Geist – was für ein tolles Bild… ich genieße das grade total. Ich finde, das ist ein sehr weises, freundliches und mitfühlendes Bild, das einem das Herz für das eigene Wesen öffnet. Danke dafür!

    • Und Dir ein herzliches Dankeschön für Deinen Kommentar!

      Ein lieber Gruß,
      Tania

  3. Liebe Tania, vielen herzlichen Dank für diesen wunderbar ehrlichen und berührenden Text. So oft geht es mir genauso – dass ich mich frage, was eigentlich neben oder unter oder hinter dem „höher, schneller, weiter“ liegt, was davon übrig geblieben ist und ob es nicht ein wichtiger Schritt zur Gesundung ist – innerlich und äußerlich, individuell und kollektiv -, der Weisheit von Schneckenseelen wieder mehr zuzuhören. Und da mit der eigenen zu beginnen. 🙂 Ich nehme deine Worte als wertvolle Inspiration mit in die kommenden Tage … liebe Grüße, Stefan

    • Dankeschön, Stefan, für Deine lieben Zeilen und grüße mir die Deine ganz herzlich,
      Tania

  4. Hey Tanja,

    schöner Beitrag. Dem kann ich nur vollkommen zustimmen. Die Balance zwischen Schnelligkeit und Ruhe zu finden und dass dann noch in den Alltag einzubauen ist wahrhaftig eine riesen Aufgabe. Keep up the good work!

    Gruss,
    Daniel

    • Herzlichen Dank auch an Dich, Daniel,
      Tania

  5. Hallo Tanja,
    wie viele von uns wünschten sich eine Schneckenseele zum Ausgleich, alles wird immer schneller und immer weniger Menschen können sich noch Abgrenzen. Die Schneckenseele finde ich ein schönes Bild, das sich auch Menschen visualisieren können die keine solch ruhige/langsame Aspekte ihrer Seele kennen.
    Dieses Bild kann zum Aufbau einer Ausgeglichenen Seele sehr Hilfreich sein.
    Ich weiss aus eigener Erfahrung das man diese, von dir Schneckenseele genannt, aber auch Trainieren kann. Ich war wie du es Beschreibst immer auf der Suche nach dem Gefühl ganz zu sein, musste immer innehalten um meine Seele aufholen zu lassen. Aber dann entdeckte ich das autogenetraining.
    Ich habe sozusagen mein Unterbewusstsein neu programiert, mit hilfe von suggestionen aller art. Nach ein paar Wochen bemerkte ich shon gewisse veränderungen und jetzt kann ich mit dem Gefühl eins zu sein unentwegt vorwärts schreiten.

  6. Liebe Tanja,
    wie immer hast Du ja so recht…

    Die Meisten meinen, daß sie nur glücklich und erfolgreich sein können, wenn sie wie Ameisen hin-und her wuseln. Ob dabei wirklich ein gutes Ergebnis in der Sache und die ersehnte Zufriedenheit bei heraus kommen, bleibt immer eine individuelle Frage, die wiederum zu Stress führt.
    Ich war mein ganzes Leben lang eine Ameise, nie ging es schnell genug, immer machte ich mir und Anderen Druck und wurde – auch wieder sehr schnell- ungeduldig. Dazu muß ich aber auch sagen, daß ich niemals unzufrieden war. Schnelligkeit gehörte einfach zu meinem Ich.
    Seitdem ich nicht mehr im Arbeitsleben stehe, bin ich zu einer Schnecke mutiert. Ich bin jetzt ausgeglichen und ruhig; meine Mitmenschen können es gar nicht fassen, daß ich nicht mehr die Gleiche wie früher bin.
    Ein wenig mehr Schneckendasein hätte mir früher ganz gut getan, und heute vielleicht ein wenig mehr von der Ameise. Aber ich glaube, daß sich alles zu seiner Zeit so entwickelt, wie der Einzelne es gerade braucht, sofern er auf sich und sein Inneres und seinen Körper hört -und das Gehörte dann auch umsetzt.

  7. Herzlichen Dank auch Euch beiden für Eure Kommentare und liebe Grüße,
    Tania

  8. Liebe Tania

    Vielen Dank für diesen schönen Text. Den Ausdruck Schneckenseele habe ich vorher nie gehört, du sprichst mich damit aber sehr an. Ich habe „wunderschönerweise“ auch so eine und lerne sie gerade zu lieben. Immer wieder innehalten und „warten“ bis alles beisammen ist 🙂 Seid meiner Operation vor einigen Jahren, was mein Leben grundlegend verändert hat, bremst mich immer wieder mein Körper wenn ich zu schnell werde. Manchmal macht mich das wütend auf meinen Körper, doch eben, ist alles eins und ich kann es „eigentlich“ dankbar annehmen, dass er so ist.
    Ich lese seid etwa 2 Monaten deine Texte und ich fühle mich so „verstanden“. Zu sehen, dass es auch solche „Gleichgesinnten“ gibt.
    Herzlichen Gruss
    Manuela

    • Lieben Dank, Manuela, für Deine Zeilen. Und ja,… es passiert, glaube ich, recht häufig, dass der Körper das tut, was wir für uns selbst oft nicht schaffen: Tempo rausnehmen.

      Alles Gute für Dich,
      Tania

  9. Liebe Tanja,

    oh ja da erkenne ich mich doch 100 % wieder..du kannst das so wunderbar in Worte packen .
    Immer hab ich das Gefühl, andere sind mit bestimmten Dingen “ schneller “ fertig und ich bin nich am Betrachten, Überlegen, Genießen unter Umständen…hab michimmer schon gefragt, was da an mir schon wieder so anders ist..

    • Ich merke immer mehr, dass das, was wie in dummer Spruch klingt, sehr wohltuend sein kann: Jeder ist anders 🙂

      Und seitdem ich das Schneckenbild für mein Seelensein gefunden habe, kann ich es ganz anders annehmen – ja, eigentlich bin ich auch gerne anders 😉

      Lieber Gruß,
      Tania

      • ist für mich auch kein dummer Spruch mehr.

        ich bin individuell 🙂
        es tut nur so unendlich gut zu wissen, dass es anderen genauso geht 🙂

  10. Liebe Tanja,
    ich hab Deine Zeilen gelesen und war mal wieder sehr berührt…Für mich hab ich vor langer Zeit auch festgestellt, dass mein inneres Tempo ( welches Du als Schnecke bezeichnest ) langsam ist. Oftmals begleiten mich Hektik und Termindruck und ich fühle mich ausser mir, als ob ich Dinge losgelöst von mir bewerkstellige.
    „Wir müssen von Zeit zu Zeit eine Rast einlegen und warten, bis unsere Seelen uns wieder eingeholt haben“ Indianische Weisheit
    In diesem Sinne liebe Grüße Corinna

    • Ja, diesen Spruch liebe ich auch sehr, er ist so wahr. Und die Formulierung „außer mir zu sein“ ist wundervoll treffend, danke dafür!

      Herzlich,
      Tania

  11. Liebe Tania,
    ich habe mich nun schon eine ganze Weile auf deinen Seiten umgesehen (bin über die liebe Bettina Schwidder auf dich gestossen ;)) und bei ganz vielen Texten dachte ich „ja genauso empfinde ich das auch“. Doch bei diesem Beitrag hier, gingen mir gleich tausend Gedanken durch den Kopf und es juckte mich in den Fingern zu einem Kommentar. Auch mir geht es gerade immer mehr so, dass ich die Welt um mich herum als zu schnell empfinde. Meine Familie spinnt Ideen fürs Wochenende, für den nächsten Urlaub, wir müssen noch dies und das diese Woche erledigen und da ist ja noch dieser und jener Termin und was hältst du davon wenn…
    Und ich stehe daneben und fühle das alles manchmal wie in Zeitlupe und denke nur „macht doch mal entspannt, das wird sich schon alles ergeben.“ Das ist dann wohl meine Schneckenseele – tolles Wort! 🙂

    Auch ich bin bis vor ein paar Jahren noch von einem Termin zum anderen, von einer Aufgabe in die nächste, oft wie im Hamsterrad gehetzt. Zum Glück schickt einem das Leben aber, wie ich heute weiß, immer das, was man gerade braucht.

    Heute nimmt Achtsamkeit immer mehr Raum und Wichtigkeit in meinem Leben ein. Ich lausche immer mehr auf das, was mir meine Seele zu sagen hat und auf dem Weg zu mir komme ich immer mehr vom Außen ins Innen. Das ist ein schönes Gefühl für mich, nur für die anderen oft unverständlich, weil diese ja in ihrem schnellen Rhythmus weiterlaufen. Doch ich weiß heute auch, dass meine Veränderungen sich auf mein Umfeld auswirken und vertraue auf den Fluss des Lebens. …Dabei fällt mir ein Zitat ein „Manchmal sollte man weder mit noch gegen den Strom schwimmen, sondern einfach mal aus dem Fluss klettern, sich ans Ufer setzen und eine Pause machen.“

    Und der erste Gedanke, der mir bei deinem Beitragstitel und dem Schneckenbild eigentlich einfiel, war meine eigene Schneckenerfahrung vom Juni – wenn du magst, schau mal hier:

    https://www.facebook.com/antje.bock.9/media_set?set=a.563440007151481.1073741835.100004564591961&type=3

    Ab und zu im Schneckenseelentempo tut gut! 🙂

    Ganz herzliche Grüße und alles Liebe
    Antje

    • Ja, das glaub ich, dass 20 Minuten lang eine Schnecke fotografisch zu begleiten eine wirksame Entschleunigungsmethode ist 🙂 🙂 🙂

      Herzlichen Dank für Deinen Kommentar und ich freu mich, dass Du hergefunden hast,
      Tania

  12. Hallo Tanja! Das habe ich gerade gebraucht! Vielen Dank für den schönen Text. So geht es mir genauso!

    Liebste Grüße Thomas

    • Und ich sage herzlich Dankeschön, dass Du mir diesen Text in Erinnerung gebracht hast!

      Lieber Gruß,
      Tania

  13. Mal ganz ehrlich:

    wer fordert von uns Menschen Schnelligkeit
    und das damit verbundene MULTI-TASKING???
    Es ist doch erwiesen, daß der Mensch dazu gar nicht instande ist!

    Gilt es als blöd, auf Mono-Tasking zu bestehen?
    Was ist daran so altmodisch, sich zu konzentrieren?

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