Ich war mal wer, jetzt bin ich ich

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Ich war mal wer, jetzt bin ich ich

Die vielleicht größte Tücke bei dem, was man eine „aktive Lebensgestaltung“ nennt, ist für mich die Idee, werden zu können, wer immer man sein will. Selbsterkenntnis wird hier oft nur als Startpunkt dafür gesehen, um sich zu jemand anderen zu machen: 

Schritt 1: Ich finde heraus wer ich bin (meine Stärken, meine Schwächen, was mich abhält vom großen Glück und Erfolg usw.).

Schritt 2: Ich überlege mir, wer ich viel lieber sein will (was mich also meinen Zielen näher bringen würde und wie ich sein müsste, um erfolgreich und zufrieden usw. zu sein).

Schritt 3: Ich gehe dieses neue Ich systematisch als Ziel an.

Ganz nach dem Motto „Alles ist möglich“ entwickeln wir also ein Idealbild von uns selbst und arbeiten dann an uns, um genau die Person zu werden, die wir sein wollen – … vielleicht dynamisch und erfolgreich oder ganz locker und gelassen oder liebevoll und aufopfernd oder was auch immer wir uns aussuchen und anstreben – in dem Glauben, wenn wir das erreichen, auch endlich zufriedener zu werden. Auf den Punkt gebracht mündet dieser Ansatz in dem Ausspruch: „Es ist nicht entscheidend, wer Du bist, sondern es ist entscheidend, wer Du sein willst.“

Klingt schon verlockend, nicht wahr? Und tatsächlich gibt es eine ganze Reihe von wirkungsvollen Methoden, mit denen wir uns selbst nicht nur motivieren, sondern auch effektiv drillen können, um tatsächlich viel zu erreichen. Stolz präsentieren wir dann unser selbstgeschaffenes Ich nach außen, … während es in uns immer leerer und dunkler werden kann – denn leider führt dieser Ansatz, so stelle ich immer öfter fest, kaum jemanden wirklich zu mehr Zufriedenheit, geschweige denn Erfüllung.

Bleibe ich für ein Beispiel doch ganz einfach bei mir selbst: Ich war mal das, was man eine ziemlich große Nummer im Internet nennen könnte. Als Mitbegründerin des Onlineratgebers „Zeit zu leben“ noch in der frühen Anlaufzeit des Internets feierte ich recht große Erfolge. Bis vor einigen Jahren wurde ich Woche für Woche von über 80.000 Menschen gelesen – was für eine Zahl! Ja, ich war das, was man „erfolgreich“ nennt, … oder besser gesagt, die Person, zu der ich mich gemacht hatte, war erfolgreich. 

Heute agiere ich sehr viel unscheinbarer und habe eine eher überschaubare Anzahl an Leser und Leserinnen. Aber das Tolle daran ist, dass ich zwar vielleicht nach herkömmlichen Maßstäben weniger erfolgreich bin (ich bin weniger bekannt, weniger präsent und verdiene weniger Geld), dafür aber bin ich heute viel mehr ich selbst und nicht länger das Hochglanz-Produkt, zu dem ich mich gemacht hatte. Ich tanze hier in meiner ganz persönlichen Ecke im Netz mit dem Leben und fühle mich endlich mir selbst nah. Und das ist mehr wert als mir alle Erfolge je hätten geben können. 

Interessanterweise konnte ich meine Erfolge früher nie richtig spüren. Ich hatte selten das Gefühl, wirklich gut zu sein oder dass es ausreichte, was ich tat und gab (egal, wie viel es war). Heute hingegen bin ich viel zufriedener mit mir und meiner Arbeit und kann auch Lob und Anerkennung annehmen und mich darüber freuen. 

So phantastisch es auch klingen mag, fast alles erreichen zu können und in so ziemlich jede erdenkliche Richtung an sich selbst arbeiten zu können, so sehe ich inzwischen auch die andere Seite dieser Ansätze sehr deutlich: nämlich allem voran die Gefahr, sich bei all dem selbst zu verlieren und das sogar, ohne es überhaupt zu merken. 

Achtsam mit sich selbst zu sein, erfordert für mich inzwischen auch den Mut, sich immer wieder ehrlich zu fragen, wie sehr man eigentlich noch man selbst ist und ob das Leben, das man führt, wirklich das eigene ist oder nicht viel mehr ein konstruiertes Wunschleben, das man (aus welchen Gründen auch immer) anstrebt. Denn oft wird das Preisschild übersehen, das an manch‘ schönem Glitzerleben hängt …

An dieser Stelle passt ein Zitat des Dalai Lama sehr schön: „Bewerte deine Erfolge daran, was du aufgeben musstest, um sie zu erreichen.“ 

Sich selbst zu verlieren, ist IMMER ein zu hoher Preis, denke ich. Ich jedenfalls möchte nie mehr dahin zurück, irgendwer zu sein, ich bin nur noch ich selbst. Und das tut verdammt gut!

5 Kommentare

  1. Liebe Tania,

    danke dir für diese guten, klaren Zeilen!
    Auf meinen Eindruck – ohne dich persönlich zu kennen – wirkst du nun tatsächlich viel erfolgreicher im Sinne von „echter“, bei dir, aus dir schöpfend. Das find ich auch erstrebenswert – ein Streben, das sehr authentisch wirkt und nichts mit externen Zielen (so sein wollen, weil andere es wollen, weil andere so sind) zu tun hat.
    Für mich ist Erfolg ein Leben in Fülle und Dankbarkeit, das mich satt und zufrieden macht – ein Leben meinen Werten & Bedürfnissen entsprechend, in dem ich Felder kreiere, in welchen ich „erblühen“ und optimal dienen kann, mir und anderen.

    Alles Gute wünscht Carolin

  2. Hallo Tania, da ist ja toll geschrieben:-) Es ist wirklich so wichtig auf sich zu achten was ich zur Zeit auch selbst erlebe. Man muss bereit sein sich auf Neues einzulassen und vorallem zu lernen das man auch hin und wieder mal aneckt da manchmal die Menschen dafür kein Verständnis haben. Muss aber sagen das wenn Freunde mich direkt Fragen verstehen Sie mich immer mehr.

  3. Herzlichen Dank, Ihr beiden, für Eure Kommentare!

    Alles Liebe,
    Tania

  4. …aber wie finde ich heraus, wer ich bin, wenn ich mich schon (zu) lange verloren habe? Ich habe inzwischen das Gefühl, nicht mal mehr zu wissen, wer ich sein wöllte… und das erscheint mir eigentlich so sehr viel leichter.
    Danke für deine Texte, Tania, mal wieder, Almut

    • Tja, ich denke auch, dass das Problem oft das ist, dass es tatsächlich vordergründig „leichter“ im Sinne von „einfacher“ ist, weiter die Person zu sein, zu der man sich gemacht hat, weil das in der momentanen Komfortzone liegt, aus der die meisten nur schwer herauskommen. Mich hat damals das Leben selbst da regelrecht rausgebebt, so dass ich keine Wahl hatte, als mich zwischen den Trümmern auf die Suche zu machen. Ich glaube, wir verlieren uns nie wirklich, sondern sind meist nur tief verborgen hinter und unter Bauwerken wie Mauern usw.

      Ganz praktisch würde ich sagen: Eine Auszeit aus dem nehmen, was ist, um zu sich zu kommen. Im laufenden Alltag scheint es oft unmöglich zu sein, da ranzukommen, weil die sicherheitsorientierten Teile in einem gut dafür sorgen, dass wir selbst auch nicht hinter die Kulissen blicken oder gar fühlen dürfen…

      Alles Liebe für Dich,
      Tania

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