Nicht so emotional, oder doch?

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Nicht so emotional, oder doch?

Ich habe schon oft gehört, dass ich doch nicht immer so emotional sein soll – vorzugsweise von Menschen, die sich rational geben. Lange habe ich mich von ihnen stark beeindrucken lassen und alles versucht, mehr so zu sein wie sie. 

Heute werden mir zwei Dinge dabei immer klarer: 

Zum einen sind viele ach so rationale Menschen keineswegs nur rational. Im Gegenteil, oft verbergen sich sogar ausgesprochen emotionale Menschen hinter einer rationalen Fassade. Sie haben sich nur aus unterschiedlichen Gründen irgendwann dazu entschieden, dass rational zu sein „besser“ oder vielleicht „sicherer“ ist und leben das nun.

Langsam verstehe ich, dass solche Menschen oft große Angst vor Gefühlen bei anderen haben, weil diese sie mit ihren eigenen in Kontakt bringen, die sie ja so bemüht in Schach halten, damit sie rational sein können. Als sehr emotionaler Mensch bin ich für solche Menschen nachvollziehbarerweise eine gewisse Bedrohung – und sie versuchen deshalb auch mich in Schach zu halten. Das aber, und das ist sehr wichtig, hat mehr mit ihnen als mit mir zu tun. 

Zum anderen habe ich immer geglaubt, dass rationale Menschen „besser“ sind, denn in meiner Umgebung warf nie jemand einer anderen Person seine Rationalität vor, sondern es wurden immer nur zu viele Emotionen als negativ gesehen. Da lag es geradezu auf der Hand, dass auch ich meine Emotionalität nicht annehmen konnte, sondern versuchte anders zu sein. 

Und tatsächlich wollte ich auch eigener Motivation heraus rationaler werden, denn rationale Menschen wirkten stark auf mich. Ihre Argumente machten mich so oft sprachlos, weil ich nichts entgegenzusetzen hatte. Was sie sagten, schien so klar und logisch und ich war schnell verwirrt und durcheinander, fand keine klaren Gedanken und konnte nichts vergleichbar Schlüssiges zurückgeben. Also mussten sie wohl recht haben. Recht zu haben erschien mir erstrebenswert, also dachte ich, wenn ich selbst weniger emotional bin, kann auch ich gute Argumente vorbringen und würde auf diese Weise stärker werden.

Ich hätte mich nicht mehr irren können! 

Heute weiß ich, dass mich gerade meine Emotionalität stark macht. Ja, sie bringt mich oft durcheinander, lässt mich stammeln und keine klaren Worte finden, aber meine Gefühle sind das, worauf ich mich verlassen kann und auch muss, wenn ich wirklich ich sein will. Die antrainierte Logik, die gelernten Gesprächstechniken und die Argumentationsstrategien aus Büchern oder Kursen gehören genauso wenig zu mir, wie hochkomplexe Erklärungs- und Rationalisierungsmodelle. So schlau ich mir auch immer vorkam, weil ich so viel davon verstand, so massiv scheitere ich bis heute in einer praktischen Auseinandersetzung, denn ich bin meiner eigenen, wahren Kräfte beraubt, wenn ich mich zwinge, „nicht so emotional“ zu sein. 

Meine Emotionen und ich – das ist eins und ich lerne, dazu zu stehen. Und mit der Zeit erkenne ich, dass ganz oft ich, die ach so empfindliche und eben „emotionale“ manchmal auch die Stärkere bin. Eines habe ich sehr rationalen Menschen in jedem Fall voraus: Ich habe keine Angst vor meinen Gefühlen! 

10 Kommentare

  1. Liebe Tania,

    hab‘ herzlichen Dank für diese ehrlichen, erfrischenden Zeilen!
    Ich glaube, dass viele Menschen nicht so gut mit der Authentizität – und dazu gehört für mich auch das echte, natürliche Zeigen meiner Emotionen – umgehen können. Es konfrontiert ggf. zu stark und verunsichert. Daher sicher umso wichtiger dieser Tage & Zeiten, dass Menschen zeigen, was in ihnen ist – ohne dabei immer & überall alles preiszugeben, letzteres hat für mich nichts mit Authentisch-Sein zu tun.

    Alles Gute für dich,

    Carolin

  2. Liebe Tania,

    tatsächlich darf man es zu schätzen wissen, „emotional“ sein zu können. Ich selbst leide als „rationaler“ Mensch mitunter sehr darunter, meine (vermutlich genauso intensiven Gefühle) nicht gut zeigen, also nach außen bringen zu können. So entsteht viel innerer Druck, Leid und auch Krankheit. Ein erster Schritt für mich war vor kurzem, zu meiner inneren Emotionalität überhaupt erst mal zu stehen und sie nicht ändern zu müssen. Achtsamkeit/Beobachtung ist dafür eine sehr wertvolle Methode. Allein das befreit und schafft inneren Frieden! Als nächstes suche ich nun nach Möglichkeiten, die Emotionen auszudrücken.
    Ich finde es sehr ehrlich und beruhigend, dass Du die Selbstmanagementmethoden heute kritisch siehst. Ich habe sie zwar nie konsequent angewendet, aber sie standen stets wie ein schlechtes Gewissen neben mir. Es geht nicht um Selbstoptimierung im Sinne eines marktwirtschaftlichen Zieles. Das mündet fast mit Sicherheit in einer Selbstverleumdung. Gut ein Jahr nach meinem Burnout, bin ich zwar immer noch nicht wieder ganz auf der Höhe. Aber auf die Höhe von damals will ich ohnehin nicht mehr, denn es war im Grunde ein tiefes Tal, dass alle Sicht nahm. Es hilft mir heute sehr viel mehr, mich im Sinne der Selbsterkenntnis zu optimieren – auch entgegen vieler frotzelnder Meinungen von Kollegen oder Bekannten. Aber das ist eine für mich neue eine innere Welt, in der ich mich so sehr viel wohler, angekommener und angenommener fühle.

    LG Bernd

    • Herzlichen Dank, Bernd, für Deine berührenden Zeilen. Das mit dem schlechten Gewissen kennen soooo viele von uns, schließlich gibt es für alles Methoden und man muss doch nur… Und wie viel schöner liest sich Dein letzter Satz!

      Alles Gute für Dich,
      Tania

  3. Liebe Tanja,
    gratuliere zu diesem Artikel.
    Ich kenne das auch ….
    Segen dir!

    Tanja ich würde gerne deinem Blog folgen,
    finde aber leider den *folgen* Button nicht!
    Herzlichst
    M.M.

  4. Liebe Tania,

    Ich mag deinen Blog sehr und fühle mich inspiriert. Ein weiterer Aspekt der hohen Emotionalität kann auch der unterschiedlichen Art die Welt zu „verarbeiten“ liegen. In Birgit Trappmanns Buch „Hochsensitiv“ eurd fas sehr gut beschrieben. Es gibt einfach unterschiedliche Grundtypen. Wenn das die Welt anerkennen würde, dann könnte man in vielen Punkten leichter leben und seine Stärken besser einsetzen. lg

  5. Danke liebe Tania für diesen Beitrag,

    da kann ich wieder voll mitgehen.
    Auch ich arbeite da fleißig dran.

    Herzlichen Dank für deinen Blog und dein Teilen – du schenkst uns immer so tief gehende und berührende Beiträge.
    Ich freu mich jedesmal, wenn deine Mail kommt.

    Theresia

  6. Liebe Tania, ein riesiges Dankschöne an Dich. Deine Newsletter sind mir seit Jahren eine Freude. Du triffst mit Deinen Texten immer den richtigen Ton und oft genau die Themen, die mich umtreiben.
    Ich wünsche Dir alles Gute und freu mich auf Deinen nächsten Newsletter.
    Von Herzen
    Sabine

  7. Wow, ganz ieben Dank, Ihr alle! Ich freu mich riesig über die wunderschönen Kommentare.

    Alles Liebe und Gute für Euch,
    Tania

  8. Liebe Tania, ich habe jetzt ein paar deiner Artikel gelesen und kann nur sagen „wow“. Habe mich noch nie so angesprochen gefühlt, als wären die Zeilen von mir. Meine Freude ist sehr groß diese Seite gefunden zu haben. Es erfordert Mut sich so zu zeigen, wie man ist, aber ich bin auch nicht mehr bereit, mich selbst zu verleugnen, das kostet so viel Energie und macht auf Dauer so unglücklich.

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