Lass mir meine Welt, ich lass Dir Deine

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Lass mir meine Welt, ich lass Dir Deine

Mit das schwierigste im menschlichen Miteinander scheint die Akzeptanz zu sein, dass wir verschieden sind. Jeder hat seine eigene Welt. Ich habe meine Welt, Sie haben Ihre Welt und dennoch leben wir eben alle auch in einer gemeinsamen Welt aus Schnittmengen. Das könnte eine tolle und bereichernde Sache sein, wenn es nicht an den Rändern unserer Welten, also an den Berührungspunkten, immer wieder zu Rangeleien und ja, auch zu kleinen oder großen Kriegen kommen würde. 

Häufig ohne es zu merken, versuchen viele von uns, die Welt der anderen zu verändern. Da kommen zum Beispiel die ach so gut gemeinten Tipps, wie man doch etwas anders machen könnte oder ungefragte (Lebens-)Ratschläge. Es wird nicht gefragt, warum man so ist oder warum etwas so tut, sondern es wird davon ausgegangen, einen besseren Ansatz zu haben, den der andere doch bitteschön übernehmen sollte, man meint es ja nur gut. Oft sind es auch ständige Sticheleien oder vermeintliche Scherze und manchmal auch deutliche Provokationen. Auf Dauer wird es dann in einer Beziehung immer anstrengender und frustrierender, denn der auf diese Weise „Verbesserte“ oder Kritisierte fühlt sich natürlich nicht angenommen, sondern in Frage gestellt oder gegängelt und zieht sich zurück oder reagiert abwehrend und aggressiv. Ein vertrauensvolles Miteinander wird immer schwieriger. 

Die Motive dafür, die Welt eines anderen mehr oder weniger systematisch zu bearbeiten, um sie der eigenen anzupassen, können vielfältig sein: Oft dürfte es einfach Gedankenlosigkeit sein. Dann werden auch gerne Sorgen um den anderen genannt und das Gefühl, der andere würde besser leben oder besser sein, wenn er anders wäre. Manchmal gefällt uns die Welt eines anderen auch einfach nicht, wir finden sie doof oder wir halten sie für falsch. Und ziemlich gut versteckt ist die Angst vor dem, was es mit uns macht, wenn wir mit dem, was anders ist in Kontakt kommen…  

Was auch immer die Gründe sind, es geht bei keinem von ihnen darum, den anderen besser verstehen zu wollen, sondern ihn zu verändern. Ich bin da inzwischen sehr achtsam geworden, denn ich war in der Vergangenheit viel zu schnell bereit, meine eigene Welt zurückzustellen und zu verstecken, wenn mir jemand das Gefühl gab, sie sei nicht „richtig“ oder „gut“. Heute aber fordere ich für mich ein, dass mir andere meine Welt lassen, so wie auch ich anderen ihre Welt lasse – etwas, das ich zugebenermaßen auch erst lernen musste, denn ja, auch ich glaubte oft, ich wüsste, was für andere gut ist. 

Heute staune ich gerne über die vielen bunten Unterschiede in all den Welten, in denen wir leben! Es kann so bereichernd sein, kleine oder größere Teile der Welten anderer Menschen kennen zu lernen – die unterschiedlichen Arten, in denen wir vieles wahrnehmen und erleben und interpretieren und die Vielfalt der Möglichkeiten mit dem umzugehen, was uns das Leben präsentiert. Wir können unseren eigenen Horizont erweitern, indem wir die Welt des anderen ein Stück besser kennen lernen und neugierig und gespannt gerade auf das Andere sind. Manchmal ist es vielleicht nur möglich, sich auf einem Steg zu treffen, der neutral ist. Und mit manchen Welten anderer Menschen kann man eben auch einfach nichts anfangen. Das ist vollkommen ok und darf so sein.

Ich bin nicht mehr bereit dazu, meine Welt aufzugeben oder zu verleugnen, nur weil ein anderer meint, sie wäre nicht gut (für mich oder ihn selbst oder überhaupt). Für mich ist meine Welt genau richtig! 

4 Kommentare

  1. Liebe Tania,

    mit großer Wachsamkeit und Kopfnicken habe ich deine Zeilen gelesen. Ich finde das Bild von „deiner & meiner Welt“ sehr passend – oft haben wir ja das Gefühl, wir würden uns in verschiedenen Universen bewegen. Auch das „Verändern-Wollen“ der Welt des anderen kenne ich gut. Gleichzeitig kenne ich das „Befremdet-auf-meine-(neue)-Welt-Reagieren“ und sich dann manchmal auch zurückziehen gut. Wie schön und erstrebenswert wäre es für alle Seiten, wir würden uns tatsächlich furchtlos und neugierig auf den Weg machen, in die Welt des anderen einzutauchen!
    Vermutlich konfrontiert uns das – gerade wenn jemand anders tickt als wir selbst oder nicht mehr so tickt wie wir – und rüttelt an den eigenen Grenzen.
    Ich las mal einen Satz: „Wenn du zur Veränderung wirst, ziehen die anderen entweder mit oder verlassen deine Realtität“. Da ist sicher etwas dran. Zwei wichtige Dinge nehme ich vor allem mit aus deinem Text: Wie wichtig das „Lassen“ ist – mir meins lassen, dem anderen seins lassen, und wie herzöffnend und bereichernd es sein kann, die Welt des anderen mit Staunen zu betrachten. Danke dafür!

    Ich wünsche uns allen schöne August-Tage, herzliche Grüße sendet
    Carolin

    • Ach schön, da sind meine Zeilen genauso angekommen, wie ich mir das gewünscht hatte 🙂

      Lieber Gruß,
      Tania

  2. Guten Morgen, liebe Tania,
    schön, dieser besinnliche Morgengruß von dir.

    Ich bewundere Menschen sehr, die sich so ausdrücken und wiedergeben können. Einer davon bist du !

    Danke für diesen wieder sehr wertvollen Beitrag und auch deine „Begrüßungsworte“.

    Wie immer sehr treffend. Hat mich sehr berührt, weil ich mich in Vielem selbst wiedererkenne.
    Oft vergessen wir, dass hinter dem ändern wollen der anderen immer wir selber stehen.

    Herzliche Grüße
    Theresia

    Auch dir wünsche ich einen wundervollen bunten und strahlenden Herbst
    mit vielen tanzenden Blättern ………

    • Ganz herzlichen Dank, Theresia!

      Alles Liebe,
      Tania

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