Manchmal habe ich das Gefühl, dass ein Phänomen das Leben von so vielen von uns ganz entscheidend beeinflusst: und zwar die Angst vor Kratzern im Lack.
Was ich damit meine ist Folgendes: Wenn wir ein neues Auto kaufen, ist es für die meisten von uns eine Horrorvorstellung, sich einen Kratzer oder gar eine Beule in das schöne, neue Auto zu fahren. Durchaus verständlich, aber Kratzer sind bei einem Gebrauchsgegenstand letztlich unvermeidlich. Und so bekommt jedes Auto früher oder später die eine oder andere Schmarre.
Was passiert nun, wenn wir mit dieser Angst durch unser gesamtes Leben gehen? Wenn wir also jede Beule, jeden Kratzer, jede Wunde an uns zu vermeiden versuchen? Dann gehen wir keine Risiken ein, vermeiden nicht nur reelle, sondern auch angenommene und eingebildete Gefahren und halten uns in allem, was uns auch nur etwas schaden könnte, zurück. Auch verständlich, aber leider lebensfeindlich. Denn so führen wir ein Leben in Angst, die uns mehr und mehr zum Rückzug zwingt. Wir wagen es nicht mehr etwas in Frage zu stellen, nicht mehr zu träumen, nicht mehr zu fordern. Wir probieren immer weniger aus und lassen uns immer weniger ein. Wir setzen auf Nummer Sicher.
Ich weiß, wovon ich spreche, denn auch ich wollte keine Kratzer im Lack. Ich wollte gut aussehen, möglichst perfekt und ich wollte nicht verletzt werden, keine Wunden mehr. Nichts davon hat geklappt – und das ist gut so!
Heute bin ich immer mehr bereit, Risiken einzugehen, auch wenn ich mir den Kopf stoße oder Seelenschmerz erfahre. Ich will mich nicht mehr selbst einsperren, damit mir nur ja nichts passiert, denn damit setze ich mich in einem (mehr oder weniger) goldenen Käfig. Das Leben aber findet draußen statt, da wo die Sonne scheint, aber auch ein starker Wind bläst, da wo man laufen kann, aber auch hinfallen, da, wo die See manchmal ganz glatt, aber auch von hohen Wellen aufgewühlt sein kann, da wo man etwas bekommt, aber nur wenn man auch gibt.
Leben macht immer Kratzer im Lack, es zieht Muster in uns und formt uns. Wie spannend, das anzunehmen und zu erleben, wer wir durch das Leben werden!
Liebe Frau Konnerth,
mal wieder: Sie haben genau das absolut super ausgedrückt, was auch ich denke und fühle- aber ohne, dass ich es so anschaulich hätte formulieren können.
Ein dickes Dankeschön- nicht nur für die Lebensweisheiten hier in diesem Artikel! Sie sprechen mir aus der Seele.
Liebe Grüße
Birgit
Liebe Birgit,
ganz herzlichen Dank für diese schöne Rückmeldung!
Alles Gute,
Tania